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Auch in Viechtach hatte die Räterepublik keine Perspektive

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Viechtach. 100 Jahre ist es nun her, dass der Sozialist Kurt Eisner am 8. November 1918, nach dem Sturz von König Ludwig III., in München den Freistaat Bayern ausgerufen hat. Er wurde zum ersten Ministerpräsidenten gewählt. Am 21. Februar 1919 ist er ermordet worden. Auch in Viechtach regte sich in den Jahren 1918 und 1919 bei einigen Personen eine revolutionäre Aufbruchsstimmung. Doch die Mehrheit der Bürger war dagegen.

So sah der Viechtacher Marktplatz (rechts das Alte Rathaus) um die vorletzte Jahrhundertwende aus. Aber am „Mittwoch den 9. April vorm. ½ 10 Uhr“ war er voller Menschen, eine Volksversammlung richtete sich gegen Viechtacher Mitglieder des Volksrats. Foto: Archiv Anton Geyer

Im Viechtacher Stadtarchiv finden sich Belege, dass es im Ort einen Arbeiter- und Soldatenrat gab. Auf einem Zeitungsausschnitt vom 22. November 1918 ist zu lesen: „Den Arbeiterräten kommt lediglich die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung innerhalb der Gemeinde im Benehmen mit der Gemeindeverwaltung zu.“ Die Amtsgeschäfte sollten von der bisherigen Verwaltung ausgeübt werden, „eine selbständige Ausübung amtlicher Befugnisse durch den Arbeiterrat ist ungesetzlich.“

Ein Zimmer mit Telefoneinrichtung und dazu 500 Mark 

Bereits am 17. November 1918 war in Viechtach ein „Arbeiter-, Bauern- und Bürgerrat“ gegründet worden, der beim Magistrat einen Antrag eingab: Auf Gemeindekosten solle ihm ein „entsprechend eingerichtetes, mit elektrischem Licht und Telefoneinrichtung versehenes Zimmer“ als Amtsraum dauernd unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden, dazu ein Kredit von 500 Mark. In der Magistratssitzung vom 21. November wurde „einstimmig beschlossen, diesem Antrag, nicht etwa aus Animosität gegen bezügliche Einrichtung, sondern einzig und allein um die Interessen der Umlagen-Zahler der Gemeinde voll zu wahren, die Zustimmung zu versagen“.

Der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner (Mitte) befand sich am Vormittag des 21. Februar auf dem Weg ins Münchner Landtagsgebäude, um dort den Rücktritt der Regierung zu erklären, als er von Anton Graf Arco-Valley erschossen wurde. Foto: Bayerische Staatsbibliothek München 

Dieser Meinung waren Bürgermeister Anton Sporer und die anderen vier zu dieser Sitzung erschienenen Magistratsräte Schub, Prieglmaier, Schmaus und Reitmeier. Auf einem Schreiben mit Briefkopf des „Soldaten-, Bauern-, Arbeiter- und Bürgerrats Viechtach“ bitten ein Kräh und der Schriftführer Baier den Magistrat um die rechtzeitige Bekanntgabe der Sitzungstermine, um bis zu drei Vertreter abordnen zu können. Der Magistrat genehmigte den Antrag.

Am 26. November 1918 ersuchte Bürgermeister Sporer den Arbeiter-, Bauern- und Bürgerrat um Unterstützung der Polizei, „das Herumtreiben jugendl. Personen unter 17 Jahren in den Abendstunden nach eintretender Dunkelheit zu verhindern“, ebenso beim Vorgehen gegen Zigarren oder Zigaretten rauchende Jugendliche. Am 28.12.1918 schrieb der Vollzugsrat der Arbeiterräte Bayerns (München) an Bürgermeister Sporer: „Der Arbeiter- und Bauernrat Ihrer Gemeinde beschwert sich, dass den links stehenden Parteien die Säle abgetrieben werden.“ Der Bürgermeister antwortete, ein Gastwirt in Viechtach sei nach diversen gesprengten Veranstaltungen nicht mehr gewillt, seinen Saal zur Verfügung zu stellen – „weder der rechts- noch linksstehenden Partei“.

Wer nicht unterschreibe, gelte als abgesetzt

Am 12. Januar fand in Bayern die Landtagswahl statt, die SPD-geführte Minderheitsregierung von Ministerpräsident Johannes Hofmann amtierte ab dem 17. März. In der Viechtacher Baumhölzl-Chronik sind für den April turbulente Ereignisse vermerkt: „Am 6. April, Sonntag wurden sämtl. hies. Herrn Beamten und Lehrer, sowie die Gemeindebeamten vom Sekretär des hiesigen Volksrates antelephoniert, daß an diesem Tage in München die seitherige Regierung (Hofmann) zurücktreten mußte und Bayern nun eine Räterepublik geworden ist, also die Central- und Volksräte in Bayern die ganze Gewalt in Händen haben, alle Beamten des Bezirkes sich bis längstens 12 Uhr mittags im Bureau des Bezirksvolksrates hier zu erscheinen haben, um dort einen Revers zu unterzeichnen, daß sie sich allen Anordnungen dieser neuen Räteregierung bedingungslos unterwerfen.“ Wer nicht unterschreibe, gelte als abgesetzt. Als Gegenreaktion gründete sich am selben Nachmittag im Gasthof Kreuzberg eine Bezirksgruppe des bayerischen Beamten- und Lehrerbundes, der eine Fristverlängerung bis 9. April erreichte.

9. April 1919, Vollversammlung auf dem Viechtacher Marktplatz.

In Viechtach ließen sich wohl einige revolutionär gesinnte Räte zu unüberlegten Handlungen hinreißen, denn die Baumhölzl-Chronik berichtet: „Alle Vorstellungen dahin, daß (…) man das scharfe und ungestüme Vorgehen der hies. Bezirksvolksräte nicht begreifen könne, halfen absolut nichts und die Folge war, daß sich im Markte Viechtach eine Bürgervereinigung im Rathaussaale gründete, der sofort 76 Mitglieder beitraten.“ Die Vorstandschaft, bestehend aus Brauereibesitzer Josef Schmaus und fünf Beisitzern, kam mit den Beamten überein, „daß auf Grund der unhaltbaren jetzigen Lage und Unsicherheit und dem Terrorismus, den der hies. Bezirksvolksrat gegenüber der Beamtenschaft u. der Bürgerschaft und gegen die Bauern anwendet, auf Mittwoch den 9. April vorm. ½ 10 Uhr auf dem Marktplatz in Viechtach eine Volksversammlung einberufen sei“.  

„Terror gegen die Beamten in Viechtach“

Diese Versammlung erhielt einen immensen Zulauf. „Punkt ½ 10 Uhr eröffnete der Vorstand (…) Herr Jos. Schmaus die Versammlung. Es machte sich allgemeine ungeheuere Erregung bemerkbar, sodaß mehrfach dringend gemahnt werden mußte, ruhig Blut zu bewahren.“ Josef Schmaus brachte seine Empörung über „das schmähliche Verhalten des hies. Volksbezirksrates und ganz besonders über dessen Sekretär Herrn Lehrer a.D. Baier“ zum Ausdruck; leider ist nicht überliefert, worin das Fehlverhalten Baiers bestanden hatte. „Die Entrüstung des Publikums äußerte sich in höchster Weise. Discussionsredner der Gegenpartei wurden niedergeschrieen und der Bürger- und Beamtenschaft das allgemeine Vertrauen zum Ausdruck gebracht. Besonders wurde Herrn Bezirksamtmann u. seiner Frau Gemahlin das größte Vertrauen zum Ausdruck gebracht und ihm einstimmig zugestimmt, daß er mit den jetzigen Volksräten hier nicht mehr dienstlich verkehren will, aber jederzeit mit neu gewählten Volksräten, welche eine vernünftigere Denkweise haben.“

Gustav Seehuber (1886-1983), der jahrzehntelang eine Rechtsanwaltskanzlei in Viechtach führte, war in jungen Jahren ein Anhänger der Räterepublik. Foto: Kanzlei Schröter

Es muss eine ungeheuer aufgeladene Stimmung geherrscht haben: „Ein Demonstrationszug von sicher 800 Personen begab sich nach der Wohnung des Sekretarius Baier, fand diesen aber ausgeflogen, was sein Glück war, denn bei der herrschenden Erbitterung wäre er sicher halb tot geschlagen worden. Mehrere Hiebe über den Kopf erhielt der Volksrat Schneider Josef Dietzweg, und noch einige Personen, darunter auch eine sehr frech auftretende Frauensperson.“ Wie in vielen anderen Orten bildeten sich in der Folgezeit Bürgerwehren gegen die Arbeiterräte: „Der Aufforderung zur Meldung zur Volkswehr zur Bekämpfung der Spartakisten sind aus Viechtach vorerst 4 Bürgerssöhne nachgekommen. (Fidel Schub, Max Stenzer, Franz Sitzberger, Anton Kilger).“

„Terror gegen die Beamten in Viechtach“: So war ein Schreiben des Innenministeriums in Bamberg vom 18. Juni 1919 an die Regierung von Niederbayern betitelt. „Nach den beiliegenden Berichten dürfte feststehen, daß die Mitglieder des Arbeiterrats (Volksrats) Viechtach, Rechtsanwalt Seehuber, Lehrer Baier, Schneider Dietzweg und Feilenhauer Baumann für die Räterepublik eingetreten und in durchaus verwerflicher Weise vor allem gegen die regierungstreuen Beamten vorgegangen sind.“ An dieser Tatsache ändere auch ihre gerichtliche Freisprechung nichts. Die Wiederaufnahme der vier Genannten in den Volksrat solle tunlichst verhindert werden. Josef Dietzweg (* 1864) war Schneidermeister, Rechtsanwalt Gustav Seehuber (*1886) führte später jahrzehntelang eine Kanzlei in Viechtach, der Feilenhauer Alois Baumann (*1873) wohnte im Kandlbach (heute Eulenspiegel). Warum der laut Unterlagen 1893 geborene Josef Baier im Jahr 1919 „Lehrer a.D.“ war – er war ja damals erst 26 –, lässt sich vielleicht mit einer Kriegsverletzung erklären.

„Auf der Grundlage des denkbar freiesten Wahlrechts“

Bis Jahresmitte 1919 war die Räterepublik am Ende. Ein Schreiben des Staatsministeriums des Innern vom 19. Juli 1919 verweist darauf, dass inzwischen die Gemeinderäte „auf der Grundlage des denkbar freiesten Wahlrechts“ gewählt worden seien. Nun sei darin auch die werktätige Bevölkerung repräsentiert – darum bestehe kein Anlass mehr, auch den Arbeiterräten noch eine besondere Vertretung im Gemeinderat einzuräumen. Es stehe den Gemeinderäten zwar frei, diese zu ihren Sitzungen zuzulassen, doch sie seien nicht dazu verpflichtet.

Eva Bauernfeind


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