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„Zwiesel hilft Ukraine“: Mit einem Bus voller Hoffnung bis an die Grenze

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Zwiesel/ Uschgorod. „Zwei, die sich wohl spätestens heute Nacht einen Verdienstorden und viel Applaus verdient haben“, leitet Jens Schlüter, Zwiesels stellvertretender Bürgermeister, die Hommage an seine Freunde Thomas Kagerbauer und Benedikt Hornaschewitz in seinem Facebook-Post ein. „Danke an euch beide, dass ihr übers Wochenende viele Frauen und Kinder mit einem 50-Sitzer-Bus von der ukrainischen Grenze in Sicherheit zu uns nach Zwiesel geholt habt.“ Das, was die beiden Zwieseler binnen 48 Stunden geschafft haben, ist wahrlich aller Ehren wert. Ein großer Akt der Menschlichkeit in schwierigen Zeiten.

„Wir wussten irgendwann nicht mehr, wohin mit all den Sachen.“ Die Hilfsbereitschaft und der Wille zur Unterstützung der Menschen aus dem Zwieseler Winkel waren (und sind immer noch) überwältigend. Fotos: Facebook-Seite „Zwiesel_hilft_Ukraine“

Begonnen hatte alles relativ klein und übersichtlich vor gut einer Woche, berichtet Thomas Kagerbauer, seines Zeichens Mitglied im Stadtrat und Vorsitzender des SC Zwiesel. Mit einem Friedensmarsch durch die Glasstadt, organisiert von den Geschwistern Emilie und Sophie Sitarski, die damit ein Zeichen für die kriegsgebeutelten Menschen in der Ukraine setzen wollten. Für den 40-Jährigen der Ausgangspunkt dafür, sich nicht nur in Gedanken, sondern auch in Form von Taten zu engagieren –  eine Hilfsaktion sollte ins Leben gerufen werden, um Nahrungsmittel, Kleidung, Hygieneartikel, Medizin uvm. Richtung Osten zu bringen.

Dann eben auf eigene Faust

Ursprünglich war es Kagerbauers Plan, sich dem Hilfsgüter-Transport einer Bekannten im tschechischen Zelezna Ruda anzuschließen – was zunächst auch umgesetzt wurde. Doch der dazugehörige Spendenaufruf via Facebook zog in kürzester Zeit überaus große Kreise. Die Hilfsbereitschaft und der Zuspruch aus der Bevölkerung im Zwieseler Winkel waren schier überwältigend. In Windeseile stapelten sich die Kartons vor dem kurzerhand zur zentralen Sammelstation umfunktionierten ehemaligen Bekleidungsgeschäft neben dem Rathaus meterhoch. „Wir wussten irgendwann nicht mehr, wohin mit all den Sachen“, blickt Thomas Kagerbauer zurück.

Der Anruf von Busfahrer Benedikt Hornaschewitz und dessen „Chauffeur-Angebot“ brachten schließlich die Wende: Die Sachen sollten nun aufgrund der Masse und der teils sensiblen medizinischen Artikel persönlich ins Krisengebiet gebracht werden – per Transfer im Reisebus, der unkompliziert und schnell von Carolin Lambürger vom gleichnamigen Zwieseler Busunternehmen zur Verfügung gestellt wurde.

Tag der Abreise: Thomas Kagerbauer (links) und Busfahrer Ben Hornaschewitz sind guter Dinge.

„Am Tag vor der Abreise war unser Lager derart voll, dass wir doch noch einmal siebeneinhalb Tonnen nach Zelezna Ruda gefahren haben“, erinnert sich Kagerbauer. Ein weiterer 40-Tonner konnte in Kooperation mit einem Viechtacher Hilfsprojekt mit Zwieseler „Rest-Material“ gefüllt werden, das per litauischer Spedition an eine polnische Stiftung geliefert wurde, die sich ebenfalls für die Ukraine engagiert. Die Güter sind per Sattelzug weiter nach Kiew transportiert worden. Rund 150 Kartons mit Nahrungsmitteln, Medizin etc. wurden schließlich in den bereitgestellten Bus verladen. Ebenso gut 200 Schlafsäcke und Isomatten.

„In der Nacht von Freitag auf Samstag sind wir dann um 3 Uhr morgens losgefahren“, berichtet der Stadtrat. Er und Fahrer Benedikt Hornaschewitz kamen gegen 20 Uhr an der slowakisch-ukrainischen Grenze in Uschogrod an, wo Jens Schlüters Bekannte Lesja Levko sie bereits erwartete. Sie hatte den Kontakt zu Hilfsorganisationen vor Ort hergestellt und gleichzeitig mit den Grenzbeamten vereinbart, dass die Waidler Kriegsflüchtlinge mit in den Westen nehmen können. „Unter anderem eine junge Frau, im fünften Monat schwanger, die sich von ihrem Mann trennen musste, weil er zum Militär einberufen wurde.“ Sie war die erste, die den Bus bestiegen hatte, nachdem Kagerbauer sie in einem Auffanglager an der Grenze ausfindig machen konnte.

„Die Einzelschicksale waren dramatisch“

Am nächsten Tag wurden dann weitere Flüchtlinge auf die im Grenzort wartenden Busse verteilt. 35 saßen schließlich im Zwieseler Fahrzeug, von denen einige bereits innerhalb der Slowakei zu Verwandten mitreisen wollten. „Die haben wir dann auf der Strecke oder in Bratislava am Hauptbahnhof aussteigen lassen“, erzählt der 40-jährige Mittelschullehrer, der sich sogleich um die Verpflegung der Mitreisenden in Form von Essen und Getränken kümmerte. Per Anruf wurde der Rettungstrupp dann darauf hingewiesen, dass sich in der slowakischen Hauptstadt ein zwölfjähriges Mädchen befindet, das zu Verwandten nach Vilshofen mitfahren möchte. Auch sie wurde „aufgegabelt“.

„Als sie in den Bus eingestiegen sind, waren die meisten eher reserviert – so auch wir“, erinnert sich der Zwieseler. „Sie kannten uns nicht  -und wir wussten nicht, was sie in den vergangenen Stunden und Tagen erlebt hatten.“ Doch schon nach kurzer Zeit entspannte sich die Lage. „Die Menschen waren durch die Bank sehr nett und freundlich, als sie gemerkt haben, dass wir ihnen helfen wollen und wir mit guten Absichten gekommen sind.“ Die Verständigung erfolgte aufgrund der Sprachbarriere mit Händen und Füßen. Nur wenige konnten Englisch. „Die Einzelschicksale, die wir soweit mitbekommen haben, waren dramatisch.“ Wo sich etwa die Eltern des Mädchens befinden, konnte Kagerbauer nicht in Erfahrung bringen. Auch der Zustand der schwangeren Frau verschlechterte sich während der Fahrt zusehends. „Die Trennung von ihrem Mann war psychisch sehr belastend für sie.“

Zurück in Zwiesel wurden die beiden „Helden“ und ihre Passagiere bereits von einem Empfangskomitee erwartet.

22 Passagiere, von denen sich manche von Odessa oder Kiew aus bis zur slowakischen Grenze in mehrtägigen Odysseen durgeschlagen hatten, waren es am Ende, die gegen halb zehn Uhr abends die deutsche Grenze bei Passau erreichten. Dort zeigten sich die deutschen Beamten – zum Leidwesen der Insassen – bei der Einreise jedoch weit weniger mitfühlend und umgänglich als erwartet. Zieladressen mussten notiert, biometrische Daten aufgenommen werden – Dolmetscher waren keine vor Ort. „Da standen Mütter mit ihren Kindern bei minus fünf Grad in der Kälte, auch ein Baby war darunter.“ Nachdem der Tross schließlich zur Bundespolizeiinspektion in der Passauer Innenstadt zitiert wurde und die Formalitäten geklärt waren, konnte die Reise Richtung Bayerwald in der Nacht auf Montag beendet werden. 

Untergebracht wurden einige der Kriegsflüchtlinge dann in Zwieseler Privatunterkünften. Der größte Teil ist im zum Nationalpark gehörigen Jugendwaldheim „Wessely-Haus“ in der Gemeinde Hohenau beherbergt worden. Viele machen sich nun von dort aus nun auf den Weg zu Verwandten innerhalb Deutschlands bzw. Europas. 

„Mir geht’s um die Sache – das ist entscheidend“

Danach gefragt, wie es ihm nach jener Tour nun geht, gibt sich Thomas Kagerbauer gefasst. Wir erreichen ihn telefonisch am Montag in der Freyunger Mittelschule, wo er bereits wieder beim Unterrichten war: „Ich bin Freitagmorgen um 8 Uhr aufgestanden – bis heute Morgen hab ich seitdem acht Stunden geschlafen. Ich fühle mich jedoch wider Erwarten topfit“, sagt er.

„Ich sehe keine Ukrainer, keine Russen, keine Armenier oder sonstige Nationen. Ich sehe Menschen, denen ich helfen will“, sagt Thomas Kagerbauer.

Und ergänzt sogleich: „Unser Busfahrer meinte zwischendrin nur: Entweder ich werde krank, oder es läuft mir das ganze Wochenende eiskalt den Buckel runter“, beschreibt der 40-Jährige die Gefühlswallungen, die ihm und Hornaschewitz während der Fahrt mehrmals widerfuhren. „Meine Motivation weiterzuhelfen ist nach wie vor ungebrochen. All die Dankbarkeit, die wir erlebt haben. Die Menschen sind uns mit Tränen in den Augen um den Hals gefallen. Das war sehr emotional.“

Es gehe ihm nicht um seine Person, sondern darum, anderen zu helfen, die in Not geraten sind. „Wenn ich etwas anfange, dann will ich es auch gut machen. Ich will weiterhin unterstützen –  mir geht’s um die Sache, das ist für mich entscheidend. Denn keiner von uns möchte in solch einer Situation stecken.“

Stephan Hörhammer

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