Bayerisch Eisenstein. Manche treiben in ihrer Freizeit gerne Sport, andere nutzen die Zeiten außerhalb des Berufes, um den Garten auf Vordermann zu bringen – und er ist, so komisch es auf den ersten Blick auch klingen mag, neben seinem Hauptjob als Polizist Bürgermeister. Michael Herzog ist seit gut einem Jahr ehrenamtliches Oberhaupt von Bayerisch Eisenstein. Wie der 43-Jährige mit dieser Doppelbelastung umgeht, warum seine Kommune immer wieder im Fokus steht und wie er das deutsch-tschechische Miteinander im Grenzort sieht, erklärt der CSU-Politiker im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n.

Michael Herzog wurde im März 2020 zum Nachfolger von Charly Bauer gewählt. Er setzte sich mit knapp 56 Prozent gegen den damaligen Amtsinhaber durch.
Herr Herzog, wie würden Sie das Anforderungsprofil des Bürgermeisters von Bayerisch Eisenstein beschreiben?
Man muss auf alle Fälle ein Allrounder sein. Wir haben eine kleine Gemeinde mit nur wenigen Mitarbeitern in der Verwaltung. Das bedeutet, dass jeder im Vertretungsfall auch die Sachbearbeitung des Kollegen übernehmen muss. Auch in puncto Grenzangelegenheiten bin ich regelmäßig Ansprechpartner für die Medien.
Die Armbanduhr hat Herzog längst abgelegt
Da trifft es sich ja hervorragend, dass sie Polizist sind.
Das hat hier durchaus seine Vorteile. Ich bin als Bürgermeister mit diesem beruflichen Hintergrund gelegentlich auch Ansprechpartner für die Bürger in der Gemeinde. Das war ich aber auch schon vor meiner Wahl. Und das mache ich auch gerne. Man hilft ja, wo man kann. Um noch einmal auf die besondere Lage in unmittelbarer Grenznähe zurück zu kommen: Durch diese Begebenheit steht Bayerisch Eisenstein immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit, vor allem zuletzt während der Corona-bedingten Grenzschließung. Dabei musste ich erstmals damit umgehen, vor einer TV-Kamera zu sprechen. Das war anfangs ungewohnt.
Fest steht also: Sie müssen vielseitig sein. Einerseits wegen den unterschiedlichen Herausforderungen einer kleinen Gemeinde im Bayerischen Wald. Andererseits, weil sie „nebenbei“ noch als Polizist im Einsatz sind. Wie sind beide Jobs miteinander vereinbar?
Es war anfangs nicht ganz so einfach. Als Polizist bin ich im Schichtdienst im Einsatz. Das heißt: Ich habe eigentlich keine geregelten Arbeitszeiten wie ein Beamter im Tagdienst. Zunächst habe ich mir eine selbst gesetzte dreimonatige Probezeit gewährt. Vollzeit als Polizist und nebenbei – in Anführungszeichen – als Bürgermeister. Doch das hat nicht geklappt. Deshalb bin ich mit den Stunden zurückgegangen, um mich noch mehr auf die Arbeit in der Gemeinde konzentrieren zu können. Es musste sich erst alles einpendeln. Beispielsweise trage ich keine Armbanduhr mehr.
Sporadisch als Polizist in Eisenstein im Einsatz
Warum?
Ich versuche, mich nicht mehr an der Zeit zu orientieren. Entweder man macht das gerne, was man macht – und dann nimmt man sich Zeit. Oder man lässt es bleiben. Genauso unsinnig ist es, einen Arbeitstag genau auf acht Stunden auszulegen. Das klappt nicht. Glücklicherweise überschneiden sich meine beiden Tätigkeiten dann doch mehr als erwartet.
Inwiefern?
Sowohl als Polizist wie auch als Bürgermeister trete ich als Vermittler auf. Gleichzeitig ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass gewisse Vorgaben eingehalten werden. Ich bin Problemlöser – in beiden Fällen. Dass sich beide Berufe ähnlich sind, war mir irgendwie schon vorher bewusst. Aber dass es derart große Überschneidungen gibt, wundert mich selbst ein bisschen.
Kommt es vor, dass der Polizist Michael Herzog in Bayerisch Eisenstein im Einsatz ist?
Sporadisch. Ich bin ja in Regen stationiert – und Bayerisch Eisenstein gehört zum Zwieseler Revier. Stehen allerdings Unterstützungseinsätze an, kann es durchaus vorkommen, dass ich mal hier in der Gemeinde im Einsatz bin. Doch bei persönlicher Betroffenheit ist es generell so, dass ich mich eher im Hintergrund halte und mein jeweiliger Kollege übernimmt.
Ist es als Gemeinde-Oberhaupt – nach einem Jahr im Amt – in etwa so, wie sie es sich vorgestellt hatten?
Ich war zuvor bereits sechs Jahre im Gemeinderat tätig und wusste daher ungefähr, auf was ich mich einlasse. (Überlegt) Wenn ich ehrlich bin, ist es vielleicht doch etwas stressiger als gedacht.
„Man muss sich selber Grenzen setzen“
Ist es antiquiert, dass eine Gemeinde von einem ehrenamtlichen, also einem „Freizeit“-Bürgermeister regiert wird?
Nach guten einem Jahr in Amt und Würden habe ich dazu eine klare Meinung: Ja. Ist man ehrenamtlicher Bürgermeister, muss man immer wieder Kompromisse finden und eingehen.
Bleiben wegen dieser Konstellation irgendwelche wichtigen Themen auf der Strecke?
Der Arbeitsaufwand ist derzeit sehr hoch. Es wäre ohne Weiteres möglich, das hauptamtliche Pensum auszuschöpfen – und noch mehr. Man muss sich selber Grenzen setzen. Denn es gibt auch noch ein Familienleben – und auch Zeit für sich ist als Ausgleich wichtig.
War – so paradox es klingen mag – Corona zum Einstieg vielleicht sogar ein Vorteil, weil viele Außentermine weggefallen sind?
Irgendwie ja, irgendwie nein. Als Bürgermeister ist es wichtig, mit den Menschen der Gemeinde ins Gespräch zu kommen. Das war ja leider nicht möglich. Ich bin ein sehr geselliger Mensch. Durch die Kontaktbeschränkung hatte man ja praktisch Hausarrest – und somit weniger Lebensqualität, wie ich finde. Man darf auch nicht vergessen, dass die vielen, sich stetig ändernden Auflagen einen hohen Aufwand für die Verwaltung mit sich gebracht haben. Das Tagesgeschäft ist etwas weniger geworden, ganz klar. Aber es sind auch einige Aufgaben dazu gekommen.
„Deutsche und Tschechen sind längst zusammengewachsen“
Gerät in derartig außergewöhnlichen Zeiten mit all ihren Folgen das Alltägliche – wie beispielsweise Kanalsanierungen oder Straßenausbesserungen – in Vergessenheit?
Nein, nein. Überhaupt nicht. Natürlich laufen diese Dinge weiter. Klar ist allerdings auch, dass man Prioritäten setzen muss. Aber das ist ja immer der Fall.
Genauso gehört ein gewisser Investitionsstau auf kommunaler Ebene zum Alltag.

Corona und seine Folgen: „Die vielen, sich stetig ändernden Auflagen haben einen unendlichen Aufwand für die Verwaltung mit sich gebracht haben.“
Ja. Und Corona hat das Ganze noch etwas verschärft. Bayerisch Eisenstein ist eine Touristen-Gemeinde, wir leben hauptsächlich von diesem Wertschöpfungszweig. Deshalb waren die Ausfälle umso dramatischer als über mehrere Monate hinweg alles geschlossen war. Sowohl die Hotellerie als auch die Gastronomie hat auf eine komplette Saison verzichten müssen.
Fühlte man sich während der Corona-Hochphase, als auch die deutsch-tschechische Grenze wieder geschlossen war, an größere, düstere Zeiten erinnert?
Nein. Das Gefühl war ein anderes. Man wusste, dass es sich bei der Corona-Grenzschließung um eine temporäre Sache handelt. Und außerdem ist das Miteinander inzwischen deutlich ausgeprägter als zu Zeiten des Eisernen Vorhanges. Wir sind mittlerweile ein Ort, in dem die Grenzen verschwimmen. Das sieht man allein daran, dass wir einen verstärkten Zuzug von tschechischen Bürgern haben. Deutsche und Tschechen leben seit Jahren in Bayerisch Eisenstein ohne Probleme zusammen.
In Bayerisch Eisenstein gibt es einen bilingualen Kindergarten
Es gibt also keine Vorurteile mehr?
Eher innerhalb der älteren Generation, die den Eisernen Vorhang mit all seinen Nachteilen noch erleben mussten. Diejenigen, die nach dem Fall des Eisernen Vorhanges aufgewachsen sind, nehmen die Grenze oft als solches gar nicht mehr wahr.
Wäre da nur nicht die Sprachbarriere.
So ist es. Wobei man hier sagen muss, dass viele Tschechen im Grenzgebiet gut Deutsch sprechen. Wir haben hier in Eisenstein auch bereits einen bilingualen Kindergarten, heißt: Die künftigen Generationen werden sich auch sprachlich noch weiter annähern.
Hat die neuerliche Grenzschließung in jüngster Vergangenheit am Miteinander etwas verändert?
Nicht nur für mich war das eine sehr bedrückende Zeit, die aber – davon bin ich überzeugt – auf lange Sicht keine negativen Spuren hinterlassen wird. Im Gegenteil. Das Bewusstsein für die Freiheit, die wir seit gut 30 Jahren haben, ist nochmals gestiegen. Jeder hier genießt es noch einmal mehr, dass es keine Grenzen mehr gibt.
Idee eines grenzüberschreitenden Skigebietes
Wo gibt es in Sachen Völkerverständigung Nachholbedarf?
(überlegt) Beim Tourismus. Wir haben ähnliche Voraussetzungen – die Randlage im jeweiligen Land, die Landschaft, die Strukturen. Ich könnte mir beispielsweise ein grenzüberschreitendes Skigebiet vorstellen, das als Ganzes noch stärker auftreten kann. Der Tourismus kann uns auch dabei helfen, dass sich beide Länder näher kommen, weil man die jeweiligen Sehenswürdigkeiten und Attraktionen besucht und dabei das Land, die Kultur und die Leute kennenlernt.

„Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass wir in einer absoluten Traumregion leben, die auch wirtschaftlich immer mehr aufholt.“
Apropos Randlage: Wird aufgrund der besonderen Lage Ihre Kommune am äußersten Ende des Landkreises Regen und des Freistaates Bayern manchmal links liegen gelassen? Bayerisch Eisenstein ist ja zudem noch die kleinste Kommune im Bayerwald-Kreis.
Werden wir links liegen gelassen? (überlegt) Um diese Frage beantworten zu können, muss ich etwas weiter ausholen. Beruflich habe ich einige Jahre in München und Landshut gelebt und gearbeitet. Ich weiß, wie das Stadtleben funktioniert. Und es hat nie jemand geschafft, mich dauerhaft vom Land, von hier, weg zu bringen. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass wir in einer absoluten Traumregion leben, die auch wirtschaftlich immer mehr aufholt. Mit diesem Bewusstsein müssen wir nach außen hin auftreten. Machen wir das, werden wir – sollte das überhaupt noch der Fall sein – nicht mehr links liegen gelassen. Als Bayerischer Wald genauso wie als Bayerisch Eisenstein. Wir sind eine aufstrebende Region und das müssen wir nach außen tragen.
„Wir haben Defizite“, aber auch „überzeugende Argumente“
Gibt’s ein konkretes Beispiel für ihre Ausführungen?
Ja. Erst kürzlich waren Investoren hier in der Gemeinde und haben sich informiert. Sie haben betont, dass sie bewusst in den ländlichen Raum investieren möchten – eben wegen jener vorher genannten Argumente und Potenziale.

Der gebürtige Zwieseler Michael Herzog lebt seit rund 25 Jahren in Bayerisch Eisenstein, ist verheiratet und hat eine Tochter.
Lässt es denn der Waidler-Charakter überhaupt zu, selbstbewusster aufzutreten?
Den Kopf in den Sand zu stecken ist der absolute Holzweg. Auf Dinge, die man erreicht hat, darf man stolz sein. Man muss insgesamt realistisch bleiben. Wir haben Defizite. Zum Beispiel gibt es in Eisenstein keine Schule mehr aufgrund zu geringer Schülerzahlen. Aber auch andere Regionen und Gemeinden kämpfen mit ähnlichen Schwierigkeiten. Den Waidler-Charakter bewerte ich durchaus positiv. Wir können doch eigentlich stolz auf ihn sein, tragen wir ihn doch in uns. Gerade auch die Liebe zur Natur erlebt derzeit eine Renaissance. Das haben wir als Waidler schon lange verinnerlicht.
Abschließend haben Sie einen Wunsch frei…
Mir ist wichtig, dass die Infrastruktur stimmt – dazu zählen zum Beispiel auch die Nahversorgung und der Tourismus. Ich wünsche mir nach der Corona-Zeit weiterhin eine aufstrebende Kommune, deren Bürger sich gegenseitig helfen. Alles in allem sollen sich alle – sowohl Einheimische, als auch Urlauber – hier wohlfühlen.
Danke für das Gespräch – und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer